"Mein Kind ist einfach faul. Es könnte ja viel mehr erreichen, aber es will einfach nicht."
Ein Text über das "Faulsein" - und darüber, wie der Wechsel unseres Blickwinkels schon vieles verändern kann.
Was bedeutet "Faulsein" eigentlich? Es beschreibt unsere Bereitschaft, Mühe und Zeit aufzuwenden, um ein Ergebnis oder gar eine Belohnung zu erreichen. Zum Beispiel: Ich jäte das Unkraut, damit das Blumenbeet morgen hübsch & ordentlich ist. Wüchse es heute nacht wieder zu, würde ich jetzt nicht jäten. Wie hoch ist Ihre Bereitschaft, Papiere vom Schreibtisch wegzusortieren, wenn sonst fast nichts drauf liegt? Hoffentlich eher hoch. Ist aber der komplette Schreibtisch zugemüllt, ist die Bereitschaft für eine Runde Aufräumen häufig geringer: Das Ergebnis lockt nicht, schnelle Erfolgserlebnisse sind nicht zu erwarten.
"Faulsein" ist keine Charaktereigenschaft. Sind Kinder "faul", stimmt meist das Verhältnis von Aufwand zu Endergebnis nicht. Das merken wir daran, dass Kinder meist das gern tun, was ihnen liegt und zufliegt (Diabolo werfen, Diablo spielen, Programmiersprachen, Youtuben). "Faul" sind wir, wenn wir für viel Aufwand nur wenig Ertrag erwarten: zwei Stunden Mathe machen, hinterher ist dann aber viel falsch und Papa schimpft? Keine Lust. Oft versteckt sich hinter der Unlust die Vermeidung von Überforderung. Es hat den Anschein: Das Kind könnte, wenn es wollte.
"Mein Kind kann, will aber nicht!" höre ich oft. Es ist ein Satz, der Wut erzeugt. Warum muss ich mich als Vater denn bitte immer so anstrengen, während das Kind sich verweigern darf? "Er könnte ja, will aber nicht" löst keine Probleme, belastet die Eltern-Kind-Beziehung und schafft Vorwürfe und Schuldgefühle. Der Satz kann weg. Man kann "Mein Kind kann, will aber nicht" einfach umdrehen: "Das Kind würde ja, es kann aber nicht." Vielleicht ist es gestresst, überfordert, müde, wütend oder es traut sich nichts zu. Vielleicht ist es auch einfach hangry und merkt es nicht. Wenn Kinder sich verweigern, ist dies auch für Kinder anstrengend. Immerhin zeigen sie ein Verhalten, das wahrscheinlich Schimpfen nach sich zieht. Sie riskieren etwas. Das tun Kinder nicht "einfach so", sondern weil es als bessere von zwei schlechten Alternative erscheint. Wir können als Eltern versuchen, das Verweigern unserer Kinder nicht als "lästige Fehlfunktion" zu begreifen, sondern als Handlung, die dazu dient, das ohnehin schwache Selbstwertgefühl in diesem Moment zu stabilisieren.
Ein Zaubersatz bei Kindern, die sich verweigern: "Kann es sein, dass du dich heute schon ganz schön angestrengt hast?" Dieser Satz transportiert Wertschätzung, Respekt, Lob, Empathie. Und es schärft den Sinn von Kinder für eigene Überanstrengungs- und Überforderungsmomente. Kinder brauchen das sehr. "Wie viel Kraft hast du denn noch übrig? Wie willst du die nutzen?" Wenn wir auch ein Verweigerungsverhalten von Kindern als sinngerichtet sehen, ist es leichter, sich nicht darüber zu ärgern. Verweigern hat einen verborgenen Sinn, meist in Form eines Schutzes vor Überforderung und Frust.
Unsere Wirklichkeit wird durch die Sprache geprägt, die wir nutzen. Ich bin dafür, den Begriff "faul" nur noch zu nutzen, wenn es tatsächlich um Äpfel und Birnen geht. Statt: "Du bist stinkend faul!" ist besser "Wie kann ich etwas helfen, dass du es schaffen kannst?" Das Wort "faul" ist im Deutschen zudem äußerst negativ konnotiert. Wir denken an Antriebsschwäche, an Täuschung ("fauler Zauber"), unfaires Spiel ("Foul!") und Verwesung ("Fäulnis"). Das Wort ist ein machtvolles Stigma. Wer es benutzt, sollte sich dessen negative Kraft bewusst machen. Es gibt im Englischen unterschiedliche Übersetzungen des Wortes "faul". Eine schöne ist "idle" (müßig), das als Verb sogar eine Tätigkeit beschreibt: "The boys idled in the garden." Man tut nicht "nichts", sondern treibt Müßiggang, unterhält sich, lässt die Zeit vergehen
"Faulsein" gehört zum Leben dazu. Wenn unsere Kinder "faul" sind, die Hausaufgabenzeit vertrödeln, nicht alles tun, was sie tun müssten, ist es einen Versuch wert, nicht darüber zu schimpfen. Es bringt nichts. Viel besser könnte es sein, sich zu erkundigen, was Kinder stattdessen gemacht haben. Vielleicht ergibt sich ein Gespräch über Dinge, die heute schon erledigt wurden, über Erschöpfung und Überforderung, vielleicht aber auch Stolz über das anstrengende Fußballspiel oder das gehaltene Referat, das zu viel Energie aufgebraucht hat. Gestatten wir uns doch etwas Neugier und Anteilnahme. Und vor allem: bleiben wir respektvoll. Kindern fällt es eben nicht leicht, alle Bedürfnisse unter einen Hut zu bekommen. Sie geben viel häufiger ihr Bestes, als als viele Eltern glauben.
Dieser Text ist in gekürzter Fassung 2020 erstmals auf Twitter erschienen.
Foto: Angelina Litvin / unsplash.com
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